Zugegeben, das Wissen darüber, wie wir fossile Energien in Bewegung und Wärme umwandeln, hat einen enormen wirtschaftlichen Aufschwung gebracht. Es hat die Wohlstands-Kurve seit der Industrialisierung immer weiter nach oben getrieben, sodass wir heute auf einem Tiefststand der weltweiten Armutsquote angekommen sind. Doch mit dieser Kurve steigen auch viele weitere Kurven immer steiler an: CO₂-Emissionen, Artensterben, Umweltkatastrophen, Wasser- und Ressourcenknappheit. Hockeystick schlägt Zukunft: Wir haben uns den Wohlstand auf Kosten des globalen Südens sowie kommender Generationen erkauft. Die Sache droht zu kippen. Und am Ende gewinnt niemand - auch nicht die fossilen (Energie-) Unternehmen oder deren Aktionäre, denn Anteile an einer kaputten Welt sind nichts mehr wert, egal wie viele man davon hat.
Das Klima rund ums Klima verdunkelt sich
Doch kurzfristige Gewinne stechen im aktuellen System leider den langfristigen Erfolg aus. Außerdem ist das Narrativ, dass Wohlstand ausschließlich durch fossile Energien möglich ist - haben wir ja in der Vergangenheit so erlebt, muss also heute immer noch stimmen - enorm dominant. So dreht sich die Welt gerade wirtschaftlich und kulturell wieder in der Zeit zurück: „back to the 80s“ beziehungsweise teilweise sogar „back to the 1800s“. Back to Turbokapitalimus, Nationalismus, Kolonialismus. Back to steile Karriereleitern, back to Bro-, Hustle- & Ellenbogen-Culture.
Das Klima rund ums Klima verdunkelt sich, nicht nur in den USA. „Jetzt erstmal die Wirtschaft!“, ruft auch hierzulande die Politik. Die „grünen Spinner“ sollen warten. Die Dringlichkeit der grünen Transformation scheint nicht mehr gegeben - und das, obwohl das Klima und damit einhergehende Risiken in Umfragen unter Bürger:innen als extrem relevant eingestuft werden. Sicher, die Grünen haben 100 Milliarden Euro als Sondervermögen für den Klima- & Transformationsfonds für die nächsten 12 Jahre verhandelt. Und das ist je nach Betrachtungsweise großartig - oder eben immer noch viel zu wenig. Denn notwendig, um Deutschland tatsächlich wie rechtlich vorgeschrieben bis 2045 klimaneutral zu machen, wären laut dem Think-Tank Agora Energiewende Investitionen von 540 Milliarden - nicht insgesamt, sondern jährlich für die nächsten 20 Jahre.
Zusätzlich werden die wirtschaftlichen Entwicklungen rund um KI diesen Berechnungen sicherlich in den nächsten Monaten und Jahren noch einmal Anpassungen nach oben abverlangen. Während Deutschland 100 Milliarden fürs Klima aufbringt, gibt OpenAI gerade - wohlgemerkt ein einzelnes Unternehmen, nicht ein ganzer Staat (!) - fast die gleiche Summe für ein neues Datencenter aus, das denselben Energiebedarf wie hunderttausende Haushalte aufweist.
Nicht nur bewegt sich also die Politik zu langsam und teilweise wieder zurück, sondern auch die äußeren Umstände erschweren die grüne Transformation oder steigern das notwendige Ausmaß der Veränderungen.
Was bedeutet das konkret für Unternehmen?
Für Unternehmen bedeutet das zwar, dass Nachhaltigkeit als USP für Produkte oder als Förderkriterium für neue Projekte unwichtiger werden könnte. Was es jedoch absolut nicht bedeutet, ist, dass nachhaltige Innovationen weniger wichtig für die Zukunftsfähigkeit von Unternehmen werden. Denn Ressourcenknappheit, Gesundheitsrisiken wie Pandemien oder Wetterextreme wie Dürre oder Starkregen gefährden auch weiterhin und in steigendem Maße viele Geschäftsmodelle und die Wirtschaft als Ganzes. Studien mehrerer Wirtschaftsforschungsinstitute zeigen: Wenn wir unsere Geschäftsmodelle nicht transformieren, ist ein Schrumpfen des BIP vorprogrammiert - egal ob wir das gerade auf die politische Tagesordnung setzen oder nicht.
Dass Unternehmen für Klimaanpassung und Nachhaltigkeitsinnovation möglicherweise weniger Lorbeeren ernten werden oder weniger öffentliche, finanzielle Unterstützung erfahren, können wir jetzt blöd finden. Ist es ja auch. Gleichzeitig können wir es auch als Chance sehen, Nachhaltigkeit endlich komplett aus der „Nice-to-Have-Wir-nutzen-das-für-unsere-Kommunikations-Ecke“ rauszuholen und in den Kern der Wertschöpfung zu integrieren. Einfach, weil das die unternehmerisch beste Strategie ist, um langfristig nicht nur erfolgreich nachhaltig, sondern auch nachhaltig erfolgreich zu sein.
Wer strategisch klug handeln möchte, braucht also nicht auf den Zuspruch aus der Politik zu warten. Wir müssen darum kämpfen, ja. Wir müssen Politiker:innen helfen, die Zusammenhänge zwischen unseren Geschäftsmodellen und dem Klima und Ökosystemen zu verstehen, ja. Aber warten, bis mögliche Erkenntnisse in Entscheidungen übersetzt werden, sollten wir nicht. Bis „die da oben“ so weit sind, haben wir weitere Möglichkeiten - egal, ob wir auf der Nachhaltigkeitsreise noch ganz am Anfang stehen, oder schon ein paar oder sogar viele Schritte gegangen sind.
Auch Tanker können umsteuern
Darauf zu warten, dass die Politik erkennt, dass Nachhaltigkeit kein „Nice-to-Have“ ist, ist nicht mehr drin. Entweder entstehen innovative Start-ups, die nachhaltig-disruptive Angebote machen oder etablierte Unternehmen machen sich selbst auf den Weg - möglichst, bevor sie wirtschaftliche Probleme bekommen.
Tatsächlich ist die Lage diesbezüglich gar nicht so düster, wie es manchmal scheint. Beispielsweise investiert der Food-Gigant Nestlé 1,2 Milliarden Schweizer Franken in die regenerative Landwirtschaft. Das ergibt Sinn, denn Ernteausfälle durch Extremwetter oder Dürre betreffen ganz direkt das Geschäftsmodell des Unternehmens. Und auch der Weltmarktführer für Teppichfliesen, das amerikanische Unternehmen „Interface“, geht pionierhaft voran. Bereits seit 2018 klimaneutral, wird aktuell die nächste Generation von Fabrikhallen geplant und gebaut. Diese sollen ökologisch nicht nur neutral sein, sondern sogar positiv auf das regionale Ökosystem wirken. Die sogenannte „Factory as a Forest“ wird ebenso viel Wasser zirkulieren, Biodiversität ermöglichen und CO₂ sequestrieren wie ein gesunder Wald.
Das sind nur zwei der vielen existierenden Beispiele. Weltweit arbeiten unzählige Unternehmen an der Transformation ihrer Branchen, denn sie sehen die enormen unternehmerischen und gesellschaftlichen Risiken, die mit dem Nichtstun einhergehen. Vor allem sehen sie aber die Potenziale, die sich aus dem „Unternehmen statt Unterlassen“ ergeben. Diese Welle mag sich aktuell abschwächen. Doch sie aufzuhalten, wird schwer bis unmöglich. Nicht, weil sie moralisch in die „richtige“ Richtung läuft - hier geht es nicht um woke oder nicht-woke. Sondern vor allem, weil auch die Logik der Marktwirtschaft sie antreibt: das Streben nach langfristigem wirtschaftlichem Erfolg sowie - im Zeichen des Fachkräftemangels - der Wettbewerb um (sinnsuchende) Talente.
Verbündete für neue Formen des Wirtschaftens
Ein Positivbeispiel für die proaktive Beschäftigung mit nachhaltigerem Wirtschaften ist die Community rund um die „Sinn | Macht | Gewinn“-Konferenz. Hier treffen sich Entscheider:innen aus Unternehmen, um sich über ihre Erfahrungen mit neuen Formen des Wirtschaftens auszutauschen. Das Herzstück der Konferenz sind die Barcamp-ähnlichen Formate, die direkt aus der Community kommen. Der nächste Kongress findet im Januar 2026 in Berlin statt, bis zum 30.6.2025 gilt der Early Bird Preis. Mehr Infos unter www.sinnmachtgewinn.de.