Die Treibhausgasbilanz – das Herzstück der Klimaberichterstattung


Kapitel
Die Treibhausgasbilanz: Herzstück der Klimaberichterstattung

Was ist eigentlich eine Treibhausgasbilanz? Wie erstellt man so etwas und worauf ist besonders zu achten? Das und mehr erklären Anne-Kathrin Vorwald und Anja Aschenbrenner im zweiten Teil unserer Serie zur ESRS E1.  

Treibhausgase (THG) sind gasförmige Stoffe in der Atmosphäre, die die Erde erwärmen. Der natürliche Treibhauseffekt ist ein stabilisierender physikalischer Vorgang, der einen Teil der von der Erde abgestrahlten Wärme zurückhält. Durch diese Wärmespeicherung genießen wir auf der Erdoberfläche eine Durchschnittstemperatur von etwa plus 15 Grad Celsius. Ohne den natürlichen Treibhauseffekt würde die Temperatur nur etwa minus 18 Grad Celsius betragen. 

Seit der Industrialisierung, etwa seit dem Jahr 1850, hat sich ein zusätzlicher menschengemachter Treibhauseffekt dazugesellt, der auch als anthropogener Treibhauseffekt bezeichnet wird. Durch menschliche Aktivitäten kommt es seitdem zu einem zusätzlichen Anstieg der Konzentration von Treibhausgasen in der Atmosphäre. Dies führt dazu, dass mehr Wärmestrahlung zurückgehalten wird und die globale Erderwärmung so verstärkt vonstattengeht. Eine Bilanzierung dieser Treibhausgase ist der erste Prozessschritt des Klimamanagements in einem Unternehmen, einer Kommune oder einer Institution. 

CO2-Äquivalente: Treibhausgase im Vergleich

Nach dem Kyoto-Protokoll werden folgende Treibhausgase definiert, da sie die wichtigsten vom Menschen verursachte Treiber des Klimawandels darstellen: Kohlendioxid (CO2), Methan (CH4), Lachgas (N2O) sowie die fluorierten Treibhausgase (F-Gase): wasserstoffhaltige Fluorkohlenwasserstoffe (HFKW), perfluorierte Kohlenwasserstoffe (FKW) und Schwefelhexafluorid (SF6). Seit 2015 wird auch Stickstofftrifluorid (NF3) dazugezählt. 

Um einen Vergleich zwischen den Treibhausgasen herstellen zu können, hat man eine Maßeinheit namens CO2-Äquivalente (CO2-Äq., engl. CO2e) eingeführt. Dazu wurden alle Treibhausgasemissionen anhand ihres sogenannten Treibhauspotenzials (Global Warming Potential, GWP) auf die Wirkung von Kohlendioxid (CO₂) umgerechnet. So lässt sich die Gesamtauswirkung unterschiedlicher Gase auf das Klima in einer einzigen Zahl zusammenfassen und vergleichen (z.B. 1 t CH4 = 25 t CO2e). 

Treibhausgas 

Chemische Formel

GWP (über 100 Jahre)

Hauptquellen

Kohlendioxid

CO₂ 

Verbrennung fossiler Brennstoffe, Abholzung 

Methan 

CH₄ 

ca. 25 

Viehhaltung, Reisanbau, Erdgasförderung 

Lachgas

N₂O 

ca. 265 

Landwirtschaft (Düngemittel), Industrieprozesse 

Teilfluorierte Kohlenwasserstoffe (HFKW)

z. B. HFC-134a 

1.300-1.430 

Kühlmittel, Klimaanlagen, Industrie 

Perfluorierte Kohlenwasserstoffe (FKW/PFKW)

z. B. CF₄ 

7.390–12.200 

Aluminiumproduktion, Elektronik 

Schwefelhexafluorid

SF₆ 

23.500 

Isoliergas in elektrischen Anlagen 

Stickstofftrifluorid

NF₃ 

16.100-17.200 

Halbleiterfertigung 

Quelle: Eigene Darstellung der B.A.U.M. Consult GmbH nach UBA und IPPC AR5 

Was ist die Treibhausgasbilanz? 

Die Treibhausgasbilanzierung verfolgt das Ziel, die Klimawirkung verschiedener Aktivitäten in Form von CO2-Äquivalenten (CO2e) zu erfassen, zu analysieren und darzustellen. Damit dies systematisch erfolgen kann, erfasst man die Treibhausgasemissionen, gemäß der drei Kategorien Scope 1, Scope 2 und Scope 3 nach dem weltweit führenden Standard zur Erfassung, Quantifizierung und Berichterstattung von Treibhausgasemissionen, dem Greenhouse Gas Protocol (GHG Protocol)

Scope 1 umfasst die direkten THG-Emissionsquellen, die durch Aktivitäten des bilanzierenden Unternehmens kontrolliert und verursacht werden. Dies betrifft alle Emissionen in den Unternehmenseinrichtungen. Beispiele sind hier Emissionen aus der Verbrennung fossiler Brennstoffe in eigenen Heizkesseln oder Emissionen aus dem Fuhrpark, also solche, die z.B. durch die Benutzung von Diesel -oder Benzinmotoren entstehen.  

In Scope 2 werden alle indirekten Emissionen erfasst, die durch die Nutzung eingekaufter Energie entstehen. Dies kann z.B. der Stromverbrauch in Produktionsanlagen sein oder der Bezug von Fernwärme für die Beheizung der Räume. Obwohl diese Emissionen nicht direkt im Unternehmen entstehen, resultieren sie aus dessen Energieverbrauch.  

In Scope 3 werden anhand von 15 Kategorien die indirekten THG-Emissionen erfasst, die in der vorgelagerten Wertschöpfungskette (Upstream) sowie in der nachgelagerten Wertschöpfungskette eines Unternehmens (Downstream) anfallen. THG-Emissionen in der vorgelagerten Wertschöpfungskette beziehen sich auf eingekaufte Güter und Dienstleistungen, Kapitalgüter, Brennstoff- und energiebezogene Emissionen, den bezahlten Transport und die Verteilung, den Abfall, Geschäftsreisen, das Pendeln der Arbeitnehmer:innen und angemietete oder geleaste Sachanlagen. Emissionen in der nachgelagerten Wertschöpfungskette beziehen sich auf den Transport und die Verteilung verkaufter Produkte, die Verarbeitung der verkauften Produkte, die Nutzung der verkauften Produkte, den Umgang mit verkauften Produkten an deren Lebenszyklusende, vermietete oder verleaste Sachanlagen, Franchise-bezogene Emissionen, und Investitionen. Scope-3-Emissionen sind je nach Datenlage oft schwierig zu erfassen, machen aber in der Regel den größten Anteil an der Gesamtbilanz aus. 

Bei einer THG-Bilanzierung wird ein CO2e -Fußabdruck erstellt. Diesen kann man für ein Unternehmen berechnen oder für ein Produkt. Bezieht sich die THG-Bilanz auf ein Unternehmen spricht man vom sogenannten Corporate Carbon Footprint (CCF), während man bezüglich eines Produkts von dem sogenannten Product Carbon Footprint (PCF) spricht.  

Wie erstelle ich eine THG-Bilanz? 

Man kann eine THG-Bilanz entweder anhand einer eigenen Tabellenkalkulation erstellen oder mit Hilfe eines Tools. Ein öffentlich zugängliches und kostenfreies Tool ist beispielsweise das von der Effizienz-Agentur NRW entwickelte ecocockpit. Darüber hinaus gibt es diverse kostenpflichtige Softwarelösungen von Privatanbietern. Bei der Toolauswahl sollte unter anderem darauf geachtet werden, dass die Quellen der hinterlegten Emissionsfaktoren transparent ausgewiesen sind, die Emissionsfaktoren regelmäßig aktualisiert werden sowie eine detaillierte Auswertung möglich ist und eine userfreundliche Bedienbarkeit des Tools gegeben ist. 

Unabhängig davon, mit welchem Tool die THG-Bilanz durchgeführt wird, ist es wichtig, in jedem Fall die fünf Bilanzierungsprinzipien aus dem GHG Protocol zu berücksichtigen, die die methodische Grundlage für eine konsistente, glaubwürdige und vergleichbare Treibhausgasbilanz bilden: Relevanz, Vollständigkeit, Kontinuität, Transparenz und Genauigkeit.  

Das Kriterium Relevanz zielt auf die Verwendung aller Informationen, die für interne und externe Nutzer wesentlich sind. Dafür ist geboten, adäquate Methoden auszuwählen, um sogenannte System- oder Bilanzgrenzen festzulegen, die den Bereich der THG eingrenzen, sodass sie zur Geschäftstätigkeit passen.  

Das Kriterium Vollständigkeit umfasst, dass alle relevanten Emissionsquellen und -arten innerhalb der definierten Bilanzgrenzen erfasst werden. So sollen beispielsweise auch niedrige Emissionen erfasst werden, wenn sich diese summieren können oder für bestimmte Stakeholder relevant sein können. Außerdem müssen Begründungen erfolgen, wenn bestimmte Quellen ausgeschlossen werden.  

Das Kriterium Konsistenz bedeutet, dass die angewandten Methoden und Daten über längere Zeiträume hinweg vergleichbar sein sollen. Dies erfordert die Verwendung einheitlicher Methoden und Berechnungsgrundlagen über mehrere Jahre hinweg sowie die transparente Dokumentation nach außen, damit Änderungen in der Bilanzierung von einem Jahr zum nächsten auch ersichtlich sind. So können beispielsweise in einer aktuelleren THG-Bilanz aktualisierte CO2-Emissionsfaktoren verwendet werden, es sollte aber auf die Aktualisierung hingewiesen und die aktuellen Quellen angegeben werden. Auch eine Erweiterung der Bilanz, zum Beispiel um neu erfasste Scope 3-Kategorien, sollte dokumentiert werden. 

Das Kriterium Transparenz soll sicherstellen, dass die THG-Bilanz verständlich, nachvollziehbar und überprüfbar ist. Eine klare Dokumentation, die Offenlegung möglicher Unsicherheiten und die Erklärung für Abweichungen, Auslassungen oder Schätzungen bzw. Annahmen sollte unbedingt beigefügt werden. So muss beispielsweise eine Berechnung mit Durchschnittswerten für die Emissionen des Pendlerverkehrs anhand der Durchschnittsentfernung oder der angenommenen Verkehrsmittelverteilung mit der Angabe der verwendeten Quellen offengelegt werden. 

Das Kriterium Genauigkeit schreibt vor, dass die Daten möglichst realitätsnah sowie belastbar sind. Systematische Fehler oder Verzerrungen sollten von Anfang an vermieden werden, es sollten die am besten zur Verfügung stehenden Datenquellen genutzt werden und, wenn Schätzungen notwendig sind, sollen diese möglichst konservativ und realistisch getroffen werden. Statt pauschaler Durchschnittswerte sollten bei entsprechender Verfügbarkeit konkrete Zähler- und Verbrauchsdaten genutzt werden. 

Diese fünf Kriterien bilden die Basis einer glaubwürdigen und auditierbaren Klimaberichterstattung. Zusätzlich können weitere Anforderungen aus dem GHG-Protocol, dem GHG Protocol Scope 3 Standard sowie den zugehörigen Guidances für Scope 2 und Scope 3 herangezogen werden sowie beispielsweise auch die ISO 14064-1. Darüber hinaus gibt es sektorspezifische Guidances, wie z.B. den The Global GHG Accounting and Reporting Standard for the Financial Industry für den Finanzsektor, die dabei helfen, die Bilanzierung in der eigenen Branche zu erleichtern. 

Erste Schritte zur THG-Bilanz

Bevor man mit der eigentlichen Datenerfassung anfängt, ist es wichtig, im ersten Schritt die Systemgrenzen festzulegen sowie eine Wesentlichkeitsanalyse der Scope 3-Katetgorien vorzunehmen, damit man den Rahmen dokumentiert, in dem die Datensammlung stattfindet.

Bei der Festlegung der Systemgrenzen ist es wichtig, diese zeitlich, organisatorisch und operativ festzulegen. Ersteres bezieht sich auf die Festlegung eines repräsentativen Basisjahres, zweites auf die Festlegung der Unternehmensgrenzen (also welche Gesellschaften und Standorte mit in die THG-Bilanz aufgenommen werden) und letzteres auf die Festlegung der zu erfassenden Scope-Kategorien in der THG-Bilanz. 

Die Wesentlichkeitsanalyse der Scope 3-Kategorien dient dazu, die relevanten THG-Emissionsquellen in der vor- und nachgelagerten Wertschöpfungskette zu ermitteln. Dafür wählt man zuerst relevante Bewertungskriterien für die Bestimmung der Wesentlichkeit aus. Das GHG-Protocol gibt dafür folgende fünf Kriterien vor:  Größenordnung der Emissionen, Einflussmöglichkeit, Relevanz der Stakeholder, Risiken und Chancen sowie Relevanz für das Geschäftsmodell. Anschließend bestimmt man die Wesentlichkeit je Scope-3-Kategorie anhand der ausgewählten Bewertungskriterien.  In einem dritten Schritt werden die relevanten Inputgrößen je Scope-Kategorie identifiziert, wie zum Beispiel die obersten 90 % der eingekauften Produkte in Scope 3.1. 

Nun hat man alle notwendigen Vorarbeiten geleistet, um mit der eigentlichen THG-Bilanz anfangen zu können. 

Worauf sollte ich bei der Erstellung meiner THG-Bilanz achten? 

Die Berechnung der THG-Emissionen erfolgt in drei Schritten. Im ersten Schritt erfasst man die Verbräuche der einzelnen Scope-Kategorien. Dazu ist es wichtig, alle relevanten Stakeholder der einzelnen Fachabteilungen einzubinden. Im zweiten Schritt ermitteln man die einzelnen Emissionsfaktoren. Hier unterscheidet man zwischen generischen und spezifischen Faktoren. Generische Emissionsfaktoren sind beispielsweise in kostenlos zugänglichen Datenbanken wie GEMIS, ProBas, ÖKOBAUDAT, Agribalyse sowie über Veröffentlichungen von Ministerien und Behörden wie DEFRA, BAFA, UBA und frei veröffentlichten Studien wie vom ifeu-Institut oder Öko-Institut erhältlich. 

Spezifische Emissionsfaktoren können sich auf unternehmensspezifische Aktivitäten, Anlagen, Prozesse oder Produkte beziehen. Sie haben den Vorteil, dass hier nicht mit Durchschnittswerten gerechnet wird, sondern sie die realen Bedingungen und Eigenschaften detaillierter widerspiegeln. Ein Beispiel wäre hierfür eine moderne Brennwerttherme, die ein Unternehmen mit Erdgas betreibt. Der Standardwert für Erdgas liegt laut UBA bei 0,202 kg CO2/kWh ( 2024 vorläufig). Führt das Unternehmen eine detaillierte Analyse der eingesetzten Gasqualität und des Wirkungsgrads der Anlage durch, kommt es beispielsweise auf eine Gaszusammensetzung (CH4-Anteil) von 98% und einem effektiven Wirkungsgrad von 92%, sodass der berechnete CO2e-Ausstoß auf Basis der Verbrennungsgleichung 0,187 kg CO2/kWh Nutzenergie ergibt. Damit wäre der spezifische Faktor geringer als der Standardwert. Gründe könnten sein, dass das Gas besonders rein ist, die Anlage sehr effizient arbeitet und sich die Berechnung auf die Nutzenergie, also auf den Output bezieht, und nicht auf die eingesetzte Primärenergie. 

Unabhängig davon, ob man standardisierte oder spezifische THG-Emissionsfaktoren verwendet, ist es wichtig, dass die CO2-Emissionsfaktoren immer aktuell sind. Am Beispiel des deutschen Strommixes sieht man, dass sich die CO2-Emissionsfaktoren laut Umweltbundesamt von 0,365 kg CO2e/kWh im Jahr 2020 über einen Wert von 0,406 kg CO2e/kWh im Jahr 2021 auf einen Wert von 0,433 kg CO2e/kWh im Jahr 2022 verändert haben. Um Verzerrungen zu verhindern sowie Aktualität und Transparenz zu gewährleisten, ist es deswegen wichtig, immer auf dem neuesten Stand der veränderten CO2-Emissionsfaktoren zu bleiben und diese offen und transparent zu dokumentieren. 

Eine weitere Herausforderung, zusätzlich zur Aktualität der CO2-Emissionsfaktoren, ergibt sich durch die Sicherstellung einer adäquaten Datenqualität. Bei den Daten unterscheidet man zwischen Primärdaten und Sekundärdaten. Primärdaten beziehen sich auf unternehmensspezifische direkt erhobene Daten aus der eigenen Tätigkeit, der eigenen Infrastruktur oder von den eigenen Lieferanten und Dienstleistern. Dies können zum Beispiel die direkt gemessenen Verbräuche von Strom sein, die Abfallmengen aus internen Systemen oder die Lieferantendaten zur Herstellung eines Produkts, z.B. von Aluminium, das ein Unternehmen bezieht. Primäre Daten sind oft sehr genau und ermöglichen eine präzise Nachvollziehbarkeit des eigenen Reduktionsfortschritts. Sie werden oft auch bei Audits oder speziellen Emissionsminderungsinitiativen wie der Science-Based Targets Initiative (SBTi) verlangt, wobei beispielsweise bei SBTi auch die Vorlage von Sekundärdaten in Ordnung ist, wenn keine Primärdaten vorhanden sind. Sekundärdaten sind allgemeine Durchschnittsdaten aus externen Datenbanken oder der Literatur. Man verwendet diese, wenn keine Primärdaten zur Verfügung stehen.

Fazit: Die THG-Bilanz als Prozess  

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die THG-Bilanz ein intensiver Prozess ist, der ein hohes Fachwissen sowie die Mitwirkung vieler Beteiligten fordert. Die Daten sollten technologisch, geografisch und zeitlich repräsentativ sein und die Vollständigkeit der Daten sowie die Zuverlässigkeit der Quellen ist eine Muss-Anforderung. Damit steht einer erfolgreichen THG-Bilanz nichts mehr im Weg.

Wenn die THG-Bilanz abgeschlossen ist, kann über die Ergebnisse des Energieverbrauchs und des Energiemixes sowie der THG-Bruttoemissionen berichtet werden. Im CSRD-Bericht wird über diese Ergebnisse in den Angabepflichten E1-5 und E1-6 berichtet, wie es in unserem Artikel Der Klimastandard ESRS E1 – Basiswissen erläutert wird.