BGH: Härtefall-Attest muss nicht vom Facharzt sein

Widerspricht ein Mieter einer Kündigung unter Berufung auf eine gesundheitliche Härte, muss er die Umstände, die die Härte begründen, medizinisch fundiert untermauern. Das kann durch das Attest eines Facharztes erfolgen, aber auch andere medizinisch qualifizierte Stellungnahmen können ausreichen.

Hintergrund: Mieter widerspricht Eigenbedarfskündigung

Der Vermieter einer Wohnung verlangt vom Mieter nach einer Kündigung wegen Eigenbedarfs die Räumung der Wohnung.

Der Mieter widersprach der Kündigung unter Berufung auf gesundheitliche Härtegründe. Zur Begründung legte er eine "Stellungnahme über Psychotherapie" eines sich als Psychoanalytiker bezeichnenden Behandlers vor. Im Briefkopf sind die Tätigkeitsfelder des Behandlers unter anderem als "Psychoanalyse" und "Psychotherapie (HPG)" bezeichnet.

In der Stellungnahme heißt es, es fänden regelmäßig einmal wöchentlich psychotherapeutische Sitzungen mit dem Mieter statt. Dieser leide an einer akuten Depression und emotionaler Instabilität verbunden mit Existenzängsten, die ihn zeitweise arbeitsunfähig machten. Ein Umzug führe mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer deutlichen Verschlechterung des Krankheitsbildes.

Amts- und Landgericht hielten den Widerspruch gegen die Kündigung für unbegründet und gaben der Räumungsklage statt. Das Landgericht meinte, der Mieter habe Härtegründe, die eine Fortsetzung des Mietverhältnisses rechtfertigen, schon nicht hinreichend dargelegt, so dass auch kein Sachverständigengutachten einzuholen sei. Die vorgelegte Bescheinigung sei schon deshalb unerheblich, weil sie nicht von einem Facharzt stamme, und überdies nicht aussagekräftig.

Entscheidung: Härte kann auch ohne fachärztliches Attest dargelegt werden

Der BGH hebt das Urteil des Landgerichts auf und verweist den Rechtsstreit dorthin zurück.

Nach der Kündigung eines Wohnraummietverhältnisses durch den Vermieter kann ein Mieter der Kündigung widersprechen und die Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen, wenn die Beendigung des Mietverhältnisses für den Mieter, seine Familie oder einen Angehörigen seines Haushalts eine Härte bedeuten würde, die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen ist. Das ergibt sich aus § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB. Einen Härtegrund kann es darstellen, wenn für den Mieter mit einem Umzug erhebliche gesundheitliche Risiken verbunden wären. Dabei obliegt es dem Mieter, die Umstände darzulegen und zu beweisen.

Der erforderliche hinreichend substantiierte Sachvortrag des Mieters zu einer gesundheitlichen Härte im Sinne von § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB kann durch Vorlage eines ausführlichen fachärztlichen Attests untermauert werden. Anders als das Landgericht meint, ist ein fachärztliches Attest aber nicht zwingend.

Auch eine ausführliche Stellungnahme eines hinsichtlich des geltend gemachten Beschwerdebildes medizinisch qualifizierten Behandlers – etwa eines Psychotherapeuten – kann ausreichen, wenn sie die Auswirkungen eines Umzugs auf die Gesundheit des Mieters nachvollziehbar darlegt. Entscheidend sind die konkreten Umstände und der Inhalt der Stellungnahme, nicht allein die Qualifikation des Behandlers.

Das Landgericht durfte daher die vorgelegte Stellungnahme nicht deshalb unbeachtet lassen, weil sie nicht von einem Facharzt stammte, und muss nun klären, inwieweit medizinische Härtegründe vorliegen, die einen Widerspruch gegen die Kündigung rechtfertigen.

(BGH, Urteil v. 16.4.2025, VIII ZR 270/22)


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§ 574 BGB Widerspruch des Mieters gegen die Kündigung

(1) Der Mieter kann der Kündigung des Vermieters widersprechen und von ihm die Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen, wenn die Beendigung des Mietverhältnisses für den Mieter, seine Familie oder einen anderen Angehörigen seines Haushalts eine Härte bedeuten würde, die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen ist. ...


Schlagworte zum Thema:  Eigenbedarf, Kündigung, Mietrecht