EU-Grenzen bei der Bewertung coronabedingter Umsatzeinbrüche

Für Unternehmen mit internationalen Geschäftsbeziehungen ergeben sich in der Schlussabrechnung der Corona-Überbrückungshilfen besondere Hürden: Die Bewilligungsstellen vertreten zunehmend den restriktiven Ansatz, dass bei der Prüfung eines "coronabedingten Umsatzeinbruchs" ausschließlich deutsche Schließungsanordnungen und deutsche staatliche Maßnahmen relevant sind, während Maßnahmen im EU-Ausland nicht berücksichtigt werden.

Die europarechtliche Dimension des Problems

Aus unserer Sicht verstößt diese Verwaltungspraxis gegen fundamentale Prinzipien des EU-Rechts. Die ausschließliche Berücksichtigung deutscher Corona-Maßnahmen bei der Beurteilung eines coronabedingten Umsatzeinbruchs steht in direktem Konflikt mit mehreren europäischen Grundfreiheiten:

  1. Verstoß gegen die Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 AEUV): Die Dienstleistungsfreiheit garantiert das Recht, Dienstleistungen grenzüberschreitend zu erbringen, ohne dabei ungerechtfertigten Beschränkungen zu unterliegen. Die Beschränkung auf innerdeutsche Maßnahmen benachteiligt faktisch Unternehmen, die neben ihrer maßgeblichen inländischen Geschäftstätigkeit auch im EU-Ausland tätig sind.
  2. Verstoß gegen die Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art. 45 AEUV): Die Nichtberücksichtigung von Reisebeschränkungen zwischen EU-Staaten und deren wirtschaftlichen Folgen stellt eine mittelbare Diskriminierung dar. Ein Arbeitgeber erhält durch diese Regelung einen wirtschaftlichen Anreiz, seine Geschäftstätigkeit auf den nationalen Markt zu beschränken.
  3. Verstoß gegen das allgemeine Diskriminierungsverbot (Art. 18 AEUV): Das allgemeine Diskriminierungsverbot untersagt "jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit" im Anwendungsbereich der EU-Verträge. Die ausschließliche Berücksichtigung deutscher Maßnahmen führt zu einer mittelbaren Diskriminierung von Unternehmen, die im EU-Binnenmarkt tätig sind.

Die Unhaltbarkeit der gängigen Rechtfertigungsversuche

Die von den Bewilligungsstellen und teilweise auch von Verwaltungsgerichten angeführten Rechtfertigungsgründe für die Beschränkung auf deutsche Corona-Maßnahmen sind nicht überzeugend:

  1. Das Argument der finanziellen Überforderung: Es wird argumentiert, dass die Berücksichtigung ausländischer Maßnahmen den deutschen Steuerzahler finanziell überfordern würde. Dieses Argument verkennt, dass es nicht darum geht, sämtliche weltweiten Corona-Folgen zu kompensieren, sondern lediglich darum, bei in Deutschland ansässigen Unternehmen keine künstliche Differenzierung nach dem Ursprungsland der Corona-Maßnahmen vorzunehmen, soweit diese die wirtschaftliche Tätigkeit beeinträchtigen.
  2. Das Argument der Fördermöglichkeiten im Ausland: Häufig wird entgegnet, betroffene Unternehmen könnten in anderen EU-Ländern Förderanträge stellen. Diese Annahme ist jedoch unzutreffend, da die meisten europäischen Hilfsprogramme eine Betriebsstätte im jeweiligen Land voraussetzten. Ein in Deutschland ansässiges Unternehmen, das Handelsbeziehungen nach Österreich oder Italien unterhält, konnte dort keine Hilfen beantragen, wenn es dort keine Betriebsstätte hatte.

Grenzschließungen und Reisewarnungen als beachtliche Faktoren

Besonders problematisch ist, dass Grenzschließungen aufgrund deutscher Anordnungen sowie Reisewarnungen des Auswärtigen Amtes in vielen Fällen von den Bewilligungsstellen nicht als relevante Faktoren anerkannt werden, sofern das Unternehmen nicht der Reisewirtschaft angehört. Dabei haben gerade diese Maßnahmen erhebliche Auswirkungen auf international tätige Unternehmen:

  • Reisewarnungen erschwerten oder verhinderten Kundenbesuche im Ausland.
  • Grenzschließungen beeinträchtigten Lieferketten und Vertriebswege.
  • Die Kombination aus deutschen und ausländischen Maßnahmen verstärkte die wirtschaftlichen Folgen.

Es ist nicht nachvollziehbar, warum diese von deutschen Behörden veranlassten Maßnahmen bei der Beurteilung coronabedingter Umsatzeinbrüche nicht berücksichtigt werden sollten.

Rechtlicher Klärungsbedarf und praktische Konsequenzen

Wir führen derzeit dazu mehrere grundsätzliche Verfahren. Die oben genannten hier nur angerissenen Argumente müssen im Einzelfall deutlich ausführlicher dargestellt und auf den konkreten Fall angepasst werden.

In der Praxis sollten betroffene Unternehmen und ihre Steuerberater folgende Aspekte beachten:

  1. Frühzeitige Einbindung erfahrener Rechtsanwälte: Bereits im Schlussabrechnungsverfahren sollten spezialisierte Rechtsanwälte hinzugezogen werden, um die Stellungnahme zum coronabedingten Umsatzeinbruch rechtlich fundiert zu gestalten.
  2. Fokus auf das Schlussabrechnungsverfahren: In einem späteren Gerichtsverfahren können nur solche Argumente in tatsächlicher Hinsicht berücksichtigt werden, die bereits im Schlussabrechnungsverfahren vorgetragen wurden. Eine nachträgliche Ergänzung oder Änderung der Begründung ist in der Regel nicht möglich.
  3. Konsequente Rechtsmittel: Bei Rückforderungsbescheiden wegen angeblich fehlenden coronabedingten Umsatzeinbruchs können Widerspruch und Klage im Einzelfall durchaus sinnvoll sein. Dies gilt insbesondere dann, wenn das Unternehmen von ausländischen Corona-Maßnahmen oder deutschen Reisewarnungen betroffen war.

Die europarechtliche Dimension der Corona-Hilfen wurde bislang zu wenig beachtet. Es bleibt zu hoffen, dass höhere Gerichte hier für mehr Klarheit sorgen und den europäischen Binnenmarktgedanken stärker in den Mittelpunkt stellen.

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