So unterstützt KI Führungskräfte

Die Journalistin Sara Weber kommt in ihrem Buch "Das kann doch jemand anderes machen! Wie KI uns alle sinnvoller arbeiten lässt" zu einer überraschenden Erkenntnis: Vor allem die Arbeit von Führungskräften lässt sich zu einem beachtlichen Anteil automatisieren. Beim polnischen Rumhersteller Dictador ist bereits eine humanoide, KI-gesteuerte Roboterfrau zur CEO erklärt worden, was aber bisher eher ein Marketinggag ist; wichtige Personalentscheidungen übernimmt immer noch das menschliche Führungsteam. Die Frage ist, wie lange noch – denn das Führungspotenzial von KI ist enorm.
Automatisiertes Management
Einige Unternehmen setzen bereits künstliche Intelligenz ein, um Führungskräften Routineaufgaben wie die Personaleinsatzplanung und die Überwachung von Arbeitsfortschritten abzunehmen. Die DHL berichtete bereits 2020 von dem KI-basierten Analysetool "Idea", das dabei hilft, die Prozesse im Lager zu optimieren. Es erfasst die Auslastung und die Bestellung mitsamt ihrer Priorität und verteilt dementsprechend die Aufgaben an die Mitarbeitenden.
Auch Amazon verwendet KI-gestützt Technologien in der Logistik. So nutzt das Tool "Amazon Monitron" Datenanalyse und maschinelles Lernen, um Geräteausfälle vorherzusagen und reduziert dadurch die Ausfallzeiten, wie der Konzern erklärt. Es soll zudem die Arbeitsbedingungen der Mitarbeitenden verbessern, denn das Technikpersonal erfährt nun über ein Dashboard, welche Geräte gewartet werden müssen. Das erspart lange Fußwege, die zuvor für die Überwachung der Maschinen notwendig waren. Damit wird das Tool gewissermaßen zur Führungskraft, die den Überblick über aktuell fällige Aufgaben hat und sie entsprechend zuweist.
"Die KI-Agenten übernehmen vor allem monotone, sich wiederholende Tätigkeiten. Dadurch gewinnen Führungskräfte Zeit und Freiraum." - Iris Salomon, Area Vice President beim Softwareunternehmen Salesforce
Das Softwareunternehmen Salesforce entwickelt KI-Agenten, die vor allem Beschäftigte im Kundenservice entlasten sollen. Doch auch Führungsaufgaben lassen sich dadurch in vielen Bereichen deutlich vereinfachen, erklärt Iris Salomon, Area Vice President bei Salesforce und Verantwortliche für das Mittelstandsgeschäft in Deutschland und Österreich: "Die KI-Agenten übernehmen vor allem monotone und sich wiederholende Aufgaben – Tätigkeiten, die derzeit etwa 41 Prozent des Arbeitsalltags ausmachen. Dadurch gewinnen Führungskräfte Zeit und Freiraum, sich auf strategische Themen oder individuelle Herausforderungen zu konzentrieren." In der Personalplanung kann KI beispielsweise Personalprofile erstellen, Stellenausschreibungen formulieren und Bewerbungen vorsortieren oder auch Urlaube verwalten sowie Krankmeldungen und Arbeitszeiten abwickeln. Sie analysiert Daten zu den Leistungen der Mitarbeitenden und erstellt automatisierte Feedbacks oder objektive Bewertungen. Ersetzen sollen diese KI-Anwendungen die menschlichen Führungskräfte keineswegs. "Gerade beim Mitarbeiter-Feedback ist der menschliche Faktor unverzichtbar: Es ist einfach wertschätzender, wenn das ein Mensch übernimmt", findet Salomon. Autonome Agenten sollten vielmehr unterstützend eingesetzt werden, damit Führungskräfte den Fokus auf die Entwicklung und Motivation ihrer Mitarbeitenden legen können. "Insbesondere in Krisensituationen oder bei Konflikten sind emotionale Intelligenz und situatives Urteilsvermögen gefragt. Das sind Fähigkeiten, die KI wohl auch langfristig nicht vollständig ersetzen werden wird."
Iris Salomon sieht durch die rasante Entwicklung der KI-Technologien neue Anforderungen an Führungskräfte und damit auch potenziell neue Führungsrollen entstehen. Denkbar seien etwa spezialisierte Positionen wie eine KI-Managerin, die für Implementierung, Überwachung und Weiterentwicklung von KI-Systemen verantwortlich ist, oder ein KI-Ethik-Beauftragter, der den ethischen Einsatz von KI sicherstellt. Auch für die Koordination der Schulungen von Mitarbeitenden im Umgang mit KI entstehen neue Stellen. "Wo die Reise hingeht, lässt sich derzeit noch nicht vollständig abschätzen – sicher ist jedoch, dass der Mensch weiterhin im Mittelpunkt von Führung und Innovation bleibt."
"Die alte Diskussion um Management versus Leadership wird beendet. Es wird nur noch Raum für Leadership geben – den Rest macht die künstliche Intelligenz." - Marc Wagner, Senior Vice President People & Organization beim IT-Dienstleister Atruvia
Auch Marc Wagner, Senior Vice President People & Organization bei Atruvia, glaubt an den immensen Einfluss von künstlicher Intelligenz auf die Arbeit von Führungskräften: "Ich denke, dass viele Paradigmen, die wir gelernt haben aus dem klassischen Management – ich muss viel strukturieren, viele Assets anhäufen und dann skalieren – massiv in den Hintergrund treten werden. Weil gerade die Themen Strukturieren, Aufbereiten, Koordinieren künftig sehr stark durch KI übernommen werden", sagt er in einem Gespräch über die Zukunft des Lernens und Arbeitens mit KI im Podcast "neues lernen". Wagner ist überzeugt: "Dadurch wird die alte Diskussion um Management versus Leadership beendet. Es wird nur noch Raum für Leadership geben – den Rest macht die KI."
Selbstversuch mit einem KI-Klon
Dass künstliche Intelligenz administrative Führungsaufgaben übernimmt, ist naheliegend. Aber damit ist bei Weitem noch nicht ihr ganzes Potenzial ausgeschöpft. Martin Giesswein, Fakultätsmitglied der WU Executive Academy, wollte es genau wissen: Er startete einen Selbstversuch, um herauszufinden, ob er sich durch künstliche Intelligenz überflüssig machen kann. Dabei begann er mit den besonders zeitfressenden Tätigkeiten. "Es gibt Videocalls, in denen ich eigentlich nur fünf Minuten für fachlichen Input gebraucht werde und trotzdem nehmen die mir zwei, drei Stunden am Tag weg. In diese Meetings schicke ich jetzt immer einen Klon von mir." Der Klon ist eigentlich ein KI-Bot, den Giesswein mithilfe von Fireflies und Microsoft Teams erstellt hat. Er wählt sich in jede Besprechung aus dem Kalender automatisch ein, schreibt Protokoll und liefert am Ende eine Zusammenfassung inklusive der To-dos, die sich im Meeting ergeben haben. Das lief gut, bis Giesswein vergessen hatte, sich in ein Meeting persönlich einzuwählen, obwohl zwei neue Kollegen im Call waren, die ihn noch nicht kannten. "Die waren von dem Bot maximal verstört", erzählt er. Sie waren sich nicht sicher, ob sie den Teilnehmer mit der Bezeichnung "KI-Bot von Martin Giesswein" ansprechen und mit ihm sensible Informationen teilen können. Giesswein weiß jetzt, dass er diesen Bot zumindest hätte ankündigen sollen; dann könnten die Teilnehmenden schon mal mit dem Klon chatten, wenn er selbst sich verspätet. Die Situation habe ihm gezeigt, dass es bei KI nicht nur um die technische Nutzung geht, sondern auch um den ethisch korrekten Einsatz. Es sei vor allem wichtig, den Einsatz von künstlicher Intelligenz transparent zu machen, wie es auch im EU AI Act, dem weltweit ersten umfassenden Regelwerk zur Regulierung von KI-Systemen, festgehalten ist.
Im Moment kann der KI-Bot nur chatten, Giesswein arbeitet aber bereits an einem Videoklon, der sein Aussehen und seine Stimme imitiert. Doch woher sollen die Meeting-Teilnehmenden dann wissen, ob sie mit Giesswein selbst, seinem KI-Klon oder vielleicht sogar einem Betrüger sprechen? Giesswein ist sich bewusst: Das Risiko für Betrugsfälle wie CEO Fraud steigt, je besser die KI-Technologie wird. Er hat deshalb mit Personen aus seinem beruflichen und privaten Umfeld Codewörter ausgemacht, um sich bei sensiblen Themen abzusichern. Zudem geht er davon aus, dass sich die Teilnehmenden von Videocalls künftig mit biometrischen Daten wie Finger- oder Irisabdruck verifizieren werden.
"Wir lagern Vorbereitungsarbeiten in den Bot aus. Dann haben wir bei physischen Treffen mehr Zeit, über Details zu diskutieren." - Martin Giesswein, Fakultätsmitglied der WU Executive Academy
Insgesamt wird der KI-Bot von Giessweins Studierenden und Mitarbeitenden positiv aufgenommen. Sie können durch den Klon jederzeit auf sein Wissen zugreifen und müssen nicht darauf warten, bis er für sie Zeit hat; Giesswein hat seine Bücher und Skripte allesamt in den Bot geladen. "Wir lagern so die Theorievermittlung oder Vorbereitungsarbeiten ins Asynchrone aus. Dann haben wir bei den physischen Treffen mehr Zeit, über Details zu diskutieren." Diese Treffen seien nach wie vor essenziell.
Auch Jahres- oder Quartalsgespräche mit Mitarbeitenden führt Martin Giesswein lieber persönlich. Hier bereitet er sich mit der Unterstützung von KI vor, indem er den Tätigkeitsbereich und das ungefähre Psychogramm der Teammitglieder eingibt und testet, wie das Gespräch laufen könnte. "Da hat mir die KI wirklich geholfen, aus meinem Tunnelblick rauszukommen", berichtet er, "nach vielen Jahren als Führungskraft habe ich manchmal dieses Gefühl, dass ich schon weiß, wie das Gespräch laufen wird. Die KI hat mich aber darauf gebracht, Fragen zu stellen, auf die ich gar nicht gekommen wäre." So habe er beispielsweise den wahren Grund für die Performance-Schwankungen einer Kollegin herausgefunden und eine faire Lösung erarbeitet. "Da hat die KI hat auch meine menschliche Seite ein bisschen angespornt und inspiriert." Dass Führungsrollen durch künstliche Intelligenz abgeschafft werden, sieht er nicht. Aber sein Selbstversuch hat ihm bestätigt: "Einzelne Aufgaben können wir an eine KI delegieren, solange wir dafür sorgen, dass alle darüber Bescheid wissen. Und dann tun wir uns in dem Alltagsdruck auch ein bisschen leichter."
Das menschliche Potenzial von KI
Doch künstliche Intelligenz kann nicht nur eine Führungskraft zu einem besseren Menschen machen – sie hat auch das Potenzial, selbst der empathischere und aufmerksamere Mensch zu sein. So behaupten es zumindest Fabiola Gerpott und Niels Van Quaquebeke in dem Artikel "The Now, New, and Next of Digital Leadership", der 2023 im Journal of Leadership & Organizational Studies erschienen ist. Die Forschung romantisiert laut Gerpott und Van Quaquebeke häufig die Vorstellung, dass nur menschliche Führungskräfte Mitarbeitende motivieren und für ein gutes Teamklima sorgen können. Doch KIs erkennen die individuellen Bedürfnisse, Stärken und Schwächen der Teammitglieder oft noch besser und sind noch dazu rund um die Uhr erreichbar. So wird vielleicht doch irgendwann der Tag kommen, an dem Beschäftigte ihre Feedback- und Entwicklungsgespräche mit einer KI führen – und sich dadurch sogar besser gesehen und betreut fühlen. Menschliche Führungskräfte würden dann lediglich die KI-Leaders überwachen, während diese sich um die Mitarbeitenden kümmern. Führungspositionen für Menschen wird es also in jedem dieser Zukunftsszenarien weiterhin geben – doch wie genau sich die Führungsarbeit ändert, wird sich noch zeigen.
Der Beitrag ist erschienen in neues lernen, Ausgabe 1/2025, das Fachmagazin für Personalentwicklung. Lesen Sie das gesamte Heft auch in der App personalmagazin - neues lernen. In der App finden Sie auch die aktuellen News rund um "neues lernen" und den Podcast für die betriebliche Lernszene. Kristina Enderle da Silva und Julia Senner hinterfragen im Podcast "neues lernen" aktuelle Lerntrends, liefern Fakten und geben Einblicke in die Unternehmenspraxis.
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