Mit der Machete durch den Normendschungel

Steigende Baukosten, sinkende Baugenehmigungen, lange Planungsverfahren – die Wohnungswirtschaft ist herausgefordert. GdW-Hauptgeschäftsführerin Ingeborg Esser, Meravis-Geschäftsführer Matthias Herter und Frank Seeger, Vorstand der Baugenossenschaft dhu, sprechen über Lösungen.
Frau Esser, kann der Gebäudetyp E wirklich den Turbo im Wohnungsbau zünden?
Ingeborg Esser: Ja, unbedingt! Der Gebäudetyp E könnte schnell umgesetzt werden – das wäre eine Maßnahme für die ersten 100 Tage einer neuen Regierung. Wichtig ist jedoch, dass wir klare Vorgaben haben: Die alte Regierung wollte nicht-sicherheitsrelevante DIN-Normen streichen. Aber wie soll ein Bauunternehmer feststellen, was sicherheitsrelevant ist und was nicht? Das neue Konzept sieht vor, nur die technischen Mindestanforderungen der Länder anzuwenden – das schafft Klarheit.
Es steht eindeutig im Koalitionsvertrag: Ein Abweichen von den Normen stellt keinen Mangel dar. Das ist besonders für Vermieter von Bedeutung. Denn wenn ein solches Abweichen keinen Mangel darstellt, kann der Mieter auch nicht darauf bestehen, einen anderen Standard einzufordern. Das wäre eine wichtige Bestätigung all dessen, was wir in den letzten Monaten erarbeitet haben, um Einsparpotenziale beim Bauen aufzuzeigen. Diese Klarstellung ist wirklich essenziell.
Pilotprojekte händeringend gesucht
In Hamburg ist man mit dem Hamburg-Standard ja schon einen ganzen Schritt weiter. Ist das Modell denn realistisch, Herr Seeger?
Frank Seeger: Ja sicher, aber er muss sich jetzt erstmal in der Praxis zeigen. Das Besondere am Hamburg-Standard ist ja, dass Experten aus unterschiedlichen Bereichen intensiv geprüft haben, welche Maßnahmen wirklich notwendig sind. Die Stadt Hamburg hat sich hier stark engagiert – insbesondere die Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen sowie die Senatorin persönlich.
Man muss aber ehrlich bleiben, die Stadt sucht aktuell noch händeringend nach Pilotprojekten. In den Bezirken wird heftig diskutiert – vor allem darüber, ob solche Abweichungen tatsächlich umsetzbar sind, selbst wenn sie gesetzlich erlaubt wären. Schließlich verfolgen die Bezirke oft eigene Vorstellungen.
Deshalb ist es entscheidend, dass die Stadt diesen Prozess nicht nur angestoßen hat, sondern weiterhin aktiv begleitet und moderiert. Es reicht nicht aus zu sagen: "Hier ist unser neuer Standard – macht mal!" Die Behörde muss kontinuierlich unterstützen und koordinieren. Erst wenn erste Projekte erfolgreich umgesetzt sind, werden wir wissen, ob dieser Ansatz tatsächlich funktioniert.
"Nervt bisschen, dass überall eigene Standards entstehen"
Oft hört man, bezahlbares Wohnen sei nur möglich, wenn die Baustandards gesenkt werden, Herr Herter. Bedeutet das automatisch eine schlechtere Wohnqualität?
Matthias Herter: Nein, das glaube ich nicht. Es gibt einen Unterschied zwischen Qualität und Komfort. Wichtig ist vor allem, dass Wohnungen sicher sind – und diese Sicherheit gab es schon immer in guter Qualität. Funktionale Grundrisse und Bezahlbarkeit stehen dabei im Vordergrund. Ich finde den Hamburg-Standard gut, aber es nervt mich ein bisschen, dass jetzt überall eigene Standards entstehen – wie der Bayern-Standard oder vielleicht bald ein nordrhein-westfälischer Standard. Am Ende haben wir dann wieder 16 verschiedene Brandschutzvorschriften! Wir sollten endlich zusammenarbeiten, mit der Machete durch den komplizierten Normendschungel gehen und von unten her denken: Was braucht es wirklich als Minimum?
Mit Minimum meine ich natürlich grundlegende Dinge wie Standsicherheit und Brandschutz, damit Menschen sicher wohnen können. Aber wir müssen auch vom Preis aus denken: Was können sich die Leute leisten? Ich denke, wir sollten uns darauf einigen: Was ist wirklich bezahlbar? Man könnte sagen: Das hängt davon ab, was die Menschen zahlen können. Oder man nimmt den Durchschnitt des aktuellen Mietspiegels als Maßstab – in Hamburg wären das vielleicht zehn bis elf Euro pro Quadratmeter. Das sind Denkansätze für Deutschland insgesamt, und ich habe den Eindruck, dass die Bundesregierung langsam in diese Richtung denkt.
Das ist ein bearbeiteter Ausschnitt aus dem L'Immo-Podcast mit Ingeborg Esser, Matthias Herter und Frank Seeger.
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